Wohnsituation vor 1918

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Stuwerviertel

In Wien lebten im Jahr 1900 über zwei Millionen Menschen. Die steigende Einwohnerzahl durch viele ZuwandererInnen aus den Kronländern der Monarchie führte zu einem akuten Wohnungsmangel und Obdachlosigkeit. 300.000 Wienerinnen und Wiener hatten 1900 keine Wohnung. Die Folge war Wohnungsspekulation. Daher wurden neue Viertel ohne auf Belichtung und Belüftung zu achten in einer extremen Dichte ausgenützt. Der Spielplatz für die Kinder, die in diesen Häusern aufwuchsen, musste die Straße sein. Ein gutes Beispiel dafür war das Stuwerviertel zwischen Venedigerau – Ausstellungsstraße – Lassallestraße und Vorgartenstraße.

In den privaten Miethäusern, sogenannten Zinskasernen, gab es in diesem Viertel vorwiegend Bassenawohnungen, also Wohnungen ohne fließendes Wasser und WC, (heute: Substandard) für die Arbeiterinnen und Arbeiter. Die hohen Mieten hatten Überbelag zu Folge. Die wenigen Menschen, die in winzigen Wohnungen wohnten, teilten ihren knappen Wohnraum mit BettgeherInnen, um Geld zu sparen. Bett­geherInnen waren Menschen, die für wenig Geld ein Bett in einer Wohnung für nur einige Stunden mieteten.

Die Wohnsituation in Wien war eine der schlechtesten in ganz Europa. Die infektiöse Lungenerkrankung Tuberkulose wurde in vielen Ländern daher auch „die Wiener Krankheit“ genannt. Am 12. April 1917 wurden rund 555.000 Wohnungen gezählt. Davon waren rund 406.000 oder 73 Prozent Kleinwohnungen. Von diesen „Kleinwohnungen“ waren rund 30.000 selbständige Kabinette ohne jeden Nebenraum. Die aus Zimmer und Küche bestehenden Wohnungen der Vorkriegszeit hatten eine Fläche von 25 bis 28 Quadratmeter, bei Küche und Kabinett gar nur 16 bis 18 Quadratmeter.

In den vorzugsweise von Arbeitern bewohnten Bezirken war der Anteil an Kleinwohnungen, bis zu 90 Prozent und darüber. Auch die Ausstattung der Wohnungen war unzulänglich. Dies galt in besonderem Maße von den kleinen und kleinsten Wohnungen. So hatten nach der amtlichen Zählung aus dem Jahre 1919 92 % das Klosett auf dem Gang, 95 % die Wasserleitung auf dem Gang, nur 14 % hatten Gas eingeleitet und nur 7 % besaßen elektrisches Licht.

Dazu kam noch eines: je kleiner, je schlechter eine Wohnung war, desto höher war im Vergleich zum wirklichen Wert der Wohnung der geforderte Zins. Arbeiter und Angestellte mussten ein Fünftel, oft sogar ein Viertel ihres Einkommens für eine Wohnung bezahlen, die nicht einmal den geringsten gesundheitlichen Ansprüchen genügte. Sie standen fast immer wieder vor der unerbittlichen Notwendigkeit, mit jeder angebotenen Wohnung vorliebnehmen zu müssen und hatten dabei für die ärmste Behausung einen Preis zu entrichten, der im Verhältnis zu ihrem Einkommen weit größer war als der Preis, den die Wohlhabenden für große Wohnungen zahlten. Die Situation war so arg, dass sich die damaligen politischen Parteien intensiv damit beschäftigen mussten.

Sozialdemokratische Überlegungen
In einem Artikel zeigt Karl Renner die gegensätzlichen Interessen am Wohnungsmarkt auf (Bodenbesitz, Baukapital, Baumaterialmarkt, Hypothek) Wichtig scheint auch das Hausherrenbild Renners: Der Hausherr ist „ausgebeuteter Ausbeuter“, .Pseudokapitalist“, einer“ … der herzlos sein muss, weil Pfandbriefe und Hypotheken auch kein Herz besitzen“ (105).
Für ihn ist es recht logisch, warum es eine „spezielle Wohnungsfrage des Proletariats“ gibt: Mit einem unregelmäßigen Lohn muss der Arbeiter regelmäßig für die Miete aufkommen, was natürlich misslingt: Arbeitslosigkeit, Alter, Krankheit, jede Laune des Chefs oder Werkführers, jede Laune des Schicksals wirft den Lebensbau auseinander und der Arbeiter liegt auf dem Pflaster.“ (106) Der Lohn reicht nicht, daher Überfüllung, das Arbeiterwohnhaus wird zum übervölkerten Seuchenherd‘. „Zu kleine, zu dicht besetzte, ungesunde, verpestete Wohnungen, Aftermieter und Schlafsteilen. Mischung der Geschlechter, der Familien, Zank, Verirrung, Ehetragödien! Erhöhte Unannehmlichkeit der Hausverwaltung, gesteigerte Unlust zum Bau von Arbeiterwohnhäusern sind die Folge!“ „Der Kapitalismus ist, wie man sieht, außerstande, seine Sklaven zu beherbergen, wie er sie nicht nähren kann.“

Christlich soziale Überlegungen
Rund um die Christlich soziale Arbeiterpartei Kunschaks und einige christlichsoziale Spitzenpolitiker – vor allem Lueger – bildet sich um 1905 ein wohnungsreformerischer Flügel innerhalb der ansonsten wohnungspolitisch passiven Partei heraus. Der Parteitag 1905 steht stark unter dem Eindruck des Besuches des Chefs der deutschen Bodenreformer, Adolf Damaschke. Insgesamt geht es wieder darum, die private Bautätigkeit zu reformieren.
Gemeinde und Unternehmer sollen eher nicht bauen, da dies eine Einschränkung der politischen Freiheit mit sich bringen würde.
Staat und Gemeinde sollen folgendes dazu beitragen:
– Wohnungsstatistik
– Wohnungsnachweis
– energische Handhabung einer Wohnungsinspektion
Da die Errichtung preiswerter Wohnungen durch den Bodenwucher verhindert wird, muss dagegen vorgegangen werden:
– angemessene Bodenwertzuwachssteuer
– Gemeinde, Staat und Land sollen möglichst viel Grund erwerben
– Enteignungsrecht, Vorkaufsrecht der Gemeinde, Erbbaurecht
– die Bauordnung soll auf die Schaffung gesunder, kleiner Wohnungen einwirken. Bau- und Sparvereine zur Schaffung billiger Wohnungen sollen unterstützt werden (Kredit, Gebührenerlass)