Einleitung

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Unsere Gesundheit ist unser wichtigstes Gut

Die Lage des Gesundheitswesens im Jahr 1945 ist heute auch mit viel Phantasie kaum vorstellbar. Kein Wiener Krankenhaus war ohne Kriegsschäden davongekommen. Es gab in den Spitälern keine Fensterscheiben, kein Heizmaterial, viel zu wenig Lebensmittel und Medikamente und zeitweise weder Gas noch Strom. Viele Spitäler waren zu Wehrmachts-Lazaretten gemacht worden. Beim Rückzug aus Wien nahm die deutsche Wehrmacht den Großteil der medizinischen Geräte und Medikamente dieser Lazarette mit.

Gesundheitswesen 1945 – ein schwerer Anfang
Die Besatzungsmächte beschlagnahmten in den Wiener Spitälern mehr als 2.000 Betten. So ergab es sich, dass 1945
nur knapp 10.000 Betten zur Verfügung standen. Vor dem Krieg waren es 17.000 gewesen. Es war vor allem dringend nötig, etwas gegen die Seuchengefahr zu tun. Typhus und Ruhr breiteten sich rasch aus, daneben das besonders gefürchtete Fleckfieber. Entscheidende Hilfe bei der Seuchenbekämpfung kam von den Besatzungsmächten. So konnten zum Beispiel 1945 und 1946 mehr als 200.000 Menschen gegen Typhus geimpft werden. Ab 1946 wurde auch eine Aktion gegen Diphtherie durchgeführt, 48.000 Kinder wurden bereits im ersten Jahr geimpft. Viele Kinder waren so stark unterernährt, dass ihre Gesundheit und ihre Entwicklung gefährdet erschien.
Schweden, die Schweiz und amerikanische Quäker richteten Ausspeisungen in den Schulen ein. Zur Bekämpfung
des Vitaminmangels stellten die Besatzungsmächte Lebertran zur Verfügung. Zur Bekämpfung der stark
grassierenden Geschlechtskrankheiten wurde das neue Wundermittel Penicillin eingesetzt. 1947 trat eine erschreckende Häufung von Kinderlähmung auf, für die keine Erklärung gefunden werden konnte: 488 Personen erkrankten, 83 starben. All diese Fakten und Zahlen wirken in unserer Zeit wie Berichte aus einer anderen, schrecklichen Welt. Die Kinderlähmung ist durch die Impfung fast völlig besiegt. Auch Typhus und Ruhr, einst zu Tausenden gemeldet, sind Einzelfälle geworden.

Eine „gesunde Entwicklung“ für Wien
Die in so vielen Zahlen und Fakten sichtbare Entwicklung des Gesundheitswesens bedeutet vor allem eine enorme Intensivierung der Betreuung der Bevölkerung, vor allem im Krankheitsfall, aber auch in der Vorbeugung oder Früherkennung von Krankheiten.
Die markanteste Folge all dieser Entwicklungen ist die Erhöhung der Lebenserwartung. Diese statistischen Berechnungen werden stark von der Säuglingssterblichkeit beeinflusst. In keinem anderen Gebiet des Gesundheitswesens kann der Fortschritt mit mehr beeindruckenden Zahlen belegt werden.

Erfolgreiche Sozialpolitik

Wien zeichnet sich heute durch eine besonders erfolgreiche Sozialpolitik aus. Denn der Zugang zu sozialen Dienstleistungen hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert: Vom Almosen zum Rechtsanspruch. Bis zum Ersten Weltkrieg war es in Wien im Wesentlichen Sache privater Fürsorge und Wohltätigkeit, notleidenden Menschen zu helfen. Danach begann das „Rote Wien“ mit dem Aufbau eines umfassenden Sozialsystems. Es konnte jedoch in den wenigen Jahren und angesichts der finanziellen Probleme nur ein Teil der Pläne verwirklicht werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden schließlich die Grundlagen des modernen Sozialstaat geschaffen.

Sozialpolitik nach Kriegsende – ein schweres Erbe

Im Jahr 1945 war es klar, dass das System der Fürsorgeräte möglichst schnell wieder aufgebaut werden musste. Zur
Nachkriegsnot der Wiener Bevölkerung kamen noch die Flüchtlinge, die heimkehrenden Soldaten und die Ausgebombten.
Ab Jänner 1946 waren in Wien mehr als 4.000 Fürsorgeräte tätig. Das bewährte System der Ersten Republik funktionierte wieder. Für Einrichtungen, die heute nicht mehr aus dem Leben der Stadt wegzudenken sind, wurde bereits 1946 der Grundstein für die sozialen Dienste gelegt.
Diese Dienste wurden im Laufe der Jahrzehnte wesentlich ausgebaut. Seit den sechziger Jahren wurden nach und nach Essen auf Rädern, Reinigungsdienst, Wäschedienst, Besuchsdienst, Reparaturdienst, Familienhilfe und Kinderbetreuung daheim eingerichtet.

Das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz

Eine wesentliche Ursache für die Änderung des gesamtem Sozialsystems war die Gesetzgebung, deren wichtigster Teil das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) aus dem Jahre 1955 ist. Vieles, was die Gemeinde und andere Stellen als Hilfe gewährleisteten, wurden von einem Akt der Fürsorge zu einem Rechtsanspruch. Die neue Situation erforderte professionelle Arbeit durch ganztägig eingesetztes Personal. Eine neue Ära der Sozialpolitik begann.